Gespinst / Bernhard Steinhäuser

Was geschieht eigentlich mit einem Kunstwerk, das man nicht sehen kann? In der Nacht sind alle Ausstellungsräume verlassen, zurückgelassen - der Besucher der Ausstellung ist zu Hause, er ist wieder bei sich selbst.
Gibt es eine Art von Eigenleben des Kunstwerkes?me verlassen, zurückgelassen - der Besucher der Ausstellung ist zu Hause, er ist wieder bei sich selbst.
Die Arbeit Gespinst von Dorothee Berkenheger wirft diese Frage auf. Die Arbeit wird als Installation bezeichnet - aber das Gespinst ist eigentlich keine Installation im Raum.me verlassen, zurückgelassen - der Besucher der Ausstellung ist zu Hause, er ist wieder bei sich selbst.
Das Wort " Gespinst" bzw. "Gespünst" steht sowohl für den Wollfaden des Webers, als auch für das Gewebe, das mit Hilfe seines Tuns hergestellt wurde. Es kann aber auch das Netz einer Spinne bedeuten. Im übertragenen Sinne steht es für ein phantastisches Gebilde; man spricht vom Luftgespinst und vom Hirngespinst.me verlassen, zurückgelassen - der Besucher der Ausstellung ist zu Hause, er ist wieder bei sich selbst.
Warum ist das Gespinst keine Rauminstallation? me verlassen, zurückgelassen - der Besucher der Ausstellung ist zu Hause, er ist wieder bei sich selbst.
Ein Raum gibt dem Betrachter die Möglichkeit der Zuwendung zur Arbeit des Künstlers. Diese Möglichkeit der Zuwendung in einem vorgegebenen und wohlbestimmten Rahmen wird kategorisch aufgehoben. Die Arbeit Gespinst ist eine geplante, sorgfältig ausgeführte Negation dieser Möglichkeit der Zuwendung. Der Raum wird zum Unraum- er wird zur unbetretbaren Zone. Die Arbeit Gespinst hält den Betrachter zurück, aber gleichzeitig zieht sie seine Aufmerksamkeit auf sich. Je mehr sich der Betrachter dem Gespinst zuwendet- er unterscheidet die verschiedenen Fadenebenen, je mehr er den Bauplan begreifen kann- er stellt fest, daß die Fäden von den Neonröhren zu den Holzleisten am Boden laufen - desto geheimnisvoller erscheint ihm der Zweck dieses ganzen Tuns. Die Ganze Kraft des geheimnisvollen Stoffes spürt der Betrachter, wenn er sich abwendet und der Frage nachgeht- nachstellt: " was habe ich eigentlich gesehen?"

Bernhard Steinhäuser

Dieser Text erschien anläßlich der Herausgabe einer Mappe im Zusammenhang mit dem Staatsförderpreis 1998.